Wilhelmine Mendel

Wir erinnern an Wilhelmine Mendel

Geboren:           15.8.1891 in Kempen-St.Hubert
Gestorben:        31.3.1942 in Riga
Opfergruppe:    Jude
Verlegeort:        Hauptstraße/Ecke Anton-Hochkirchen-Straße, Kempen-St.Hubert
Verlegedatum:   29.5.2018
Patenschaft:      Karin Schenk

Foto: Familie Baum

Wilhelmine Mendel, in St. Hubert Minchen genannt, wurde am 15. August 1891 als Tochter des Viehhändlers Alex Mendel und seiner Frau Lisetta Lambertz geboren. Seit dem Tode ihres verwitweten Vaters im Jahre 1927 wohnte sie, unverheiratet, im Elternhaus in St. Hubert, Hindenburgstraße 39. Seit 1898 war es im Besitz ihrer Familie. Vor einigen Jahren wurde es abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt.

Wie alle jüdischen Häuser in St. Hubert wird auch dieses Haus am Nachmittag des 10. November 1938 im Zuge der Pogromnacht demoliert. Als die Nazis weg sind, ist in allen Räumen die Einrichtung zerstört; heil geblieben ist nur ein kleiner Eckschrank. Vom Hausrat ist nichts mehr zu verwenden.

Minchen Mendel besitzt nun keinen Wertgegenstand mehr, den sie verkaufen könnte, um leben zu können. Sie ist gebrechlich, leidet an hochgradiger Neurasthenie und kann nicht arbeiten. So ist sie gezwungen, ihr Land zu veräußern. Diese Gelegenheit nutzt der St. Huberter Ortsbauernführer Heinrich Fonken, Hülser Straße 1. Fonken galt als umgänglich und hilfsbereit, und im Krieg bewahrte er sogar einen polnischen Zwangsarbeiter vor dem Galgen und eine deutsche Einwohnerin, die ein Kind von ihm bekam, vor dem KZ. Minchens Immobilien aber wollte er haben. Um heiraten zu können, brauchte er eine wirtschaftliche Existenz. Er wollte zur Gründung einer Familie Minchens Haus beziehen und ihre Länderei zur Errichtung einer Obstplantage verwenden. Mithilfe des Kreisbauernführers Philipp Pleines setzte er Minchens Vermögensverwalter Dr. Wilhelm Erkes unter Druck und kaufte ihren kompletten Besitz weit unter dem tatsächlichen Wert für 15.000 Mark. Aber er konnte den Besitz nicht antreten, denn nun kam die staatliche Siedlungsgesellschaft Das Rheinische Heim ins Spiel. Im ganzen Rheinland führte sie die Verwertung des jüdischen Land- und Forstbesitzes durch. Minchens umfangreichen Grundbesitz erwarb diese Gesellschaft für ganze 8790 Reichsmark. Sie war ein Teil des nationalsozialistischen Systems. Aber nach dem Krieg hat sie sich als dessen Opfer dargestellt, und deshalb hat sie sich nie bei den Zehntausenden Juden entschuldigt, die sie für die Nazis praktisch enteignet hat. Aus dem Rheinischen Heim und anderen Gesellschaften wurde 1970 die heutige Landesentwicklungsgesellschaft NRW (LEG).

Die schwer kranke Wilhelmine Mendel aber muss ihr elterliches Haus verlassen. Das Kempener Krankenhaus nimmt sie zur Behandlung auf, obwohl ihre Krankenversicherung, weil sie Jüdin ist, eine Kostenübernahme verweigert. Später findet Minchen Unterschlupf beim Landwirt Matthias Hormes, Schauteshütte 13. Hier erfährt sie, dass sie am 11. Dezember 1941 deportiert werden soll. Am Abend vor der Deportation kommt sie mit dem jüdischen Ehepaar Isidor und Mathilde Lambertz in den Laden des Bäckermeisters Josef Pasch, dessen Einstellung gegen die Nazis ortsbekannt ist, um sich für die lange Fahrt Brot zu besorgen. Paschs Sohn Jupp hat sich an sie erinnert: „Ich weiß noch, dass sie unter Tränen sagte: ,Was haben wir denn getan?’“ Am nächsten Morgen werden die drei Juden von dem Fuhrmann Jakob Boscher mit einem Pferdekarren nach Kempen in das dortige Hallenbad an der Burgstraße gebracht, wo der Sammelpunkt der Deportierten ist. Von dort geht es mit dem Schluff, der heute als Ausflugszug vom Krefelder Nordbahnhof zum Hülser Berg bekannt ist, nach Krefeld und über Düsseldorf in das Ghetto der lettländischen Hauptstadt Riga.

In Riga werden nicht mehr arbeitsfähige Juden bereits vergast – durch zwei Lastkraftwagen, die man zu fahrbaren Erstickungsmaschinen umgebaut hat. Aus dem Auspuffrohr werden dessen Abgase durch ein Metallrohr auf die hermetisch abgedichtete Ladefläche geleitet, die Platz für 40 Menschen bietet. Der Betrieb des Motors reicht aus, um die menschliche Fracht während der Dauer einer Fahrt zu töten. Mit anderen Juden wird in einem solchen Wagen Minchen Mendel aus St. Hubert am 31. März 1942 ermordet. Noch im März 1942 werden die zurückgelassenen Habseligkeiten der deportierten Juden in der Kempener Mädchenoberschule an der Thomasstraße öffentlich versteigert. Dort in der Turnhalle im Hochparterre hat man das zurückgelassene Mobiliar zur Begutachtung aufgestellt. Auf Bollerwagen fahren die Kempener die ersteigerten Sachen nach Hause. Gewissensbisse werden damit weggewischt, dass die Versteigerung ja auf Anordnung der Behörden erfolgt.

Quellen und Literatur
Das Schicksal von Wilhelmine Mendel ist ausführlich dargestellt bei Hans Kaiser, Kempen unterm Hakenkreuz, Band 2: Eine niederrheinische Kreisstadt im Krieg (Schriftenreihe des Kreises Viersen 49,2), Viersen 2014, S. 359, 361, 386 ff., 394, 411, 416, 418, 420 f., 433,445, 448, 468; dort auch detaillierte Quellenangaben. Hier sei nur hingewiesen auf die Korrespondenzsammlung von Dr. Bruno Erkes als vom Kempener Amtsgericht bestellter Treuhänder für die Verwaltung des jüdischen Vermögens in Kempen, in dem die Vorgänge der Arisierung von Wilhelmine Mendels Immobilien, aber auch die anderer Kempener Juden in allen Einzelheiten beschrieben sind (Kreisarchiv Viersen: KK 5274).