Wir erinnern an Paula Mendel, geborene Weinberg
Geboren: 6.11.1892 in Liebenau bei Nienburg
Gestorben: August 1945
Opfergruppe: Jude
Verlegeort: Von-Loe-Str.14
Verlegedatum: 15.12.2015
Patenschaft: Familie Rabbels
Andreas Mendel wurde am 9. Juli 1892 in St. Hubert als Sohn des Viehhändlers Alexander Mendel und seiner Frau Lisette, geb. Lambertz, geboren. Er arbeitete als Viehhändler wie sein Vater, zog bald nach Kempen, wo er sich selbstständig machte, und heiratete die am 6. November 1892 in Liebenau bei Nienburg an der Weser geborene Paula Weinberg. Am 27.9.1922 kam in Kempen beider Sohn Kurt zur Welt, am 16. Mai 1924 ihre Tochter Lieselotte gen. Liesel. Spätestens 1931 wohnte der Kaufmann Andreas Mendel mit seiner Familie in Kempen an der Von-Loë-Str. 14.[1]
Bevor am 15. September 1935 die Nürnberger Rassegesetze verkündet werden, findet auch in Kempen eine antisemitische Hetzkampagne statt. In der Königsburg am Donkring treten geschulte Redner auf und verkünden dem mit 1500 Zuhörern überfüllten Saal: „Die Juden sind unser Unglück!“ Die SA fährt, Sprechchöre rufend, auf Lkw durch die Straßen. Im August 1935 marschiert die Hitlerjugend zu den jüdischen Wohnungen, um den Bewohnern mit Sprechchören und Liedern Angst zu machen. Norbert Greven erinnert sich, wie er mit anderen Pimpfen an dem Haus der jüdischen Familie Mendel, Von-Loë-Straße 14, vorüberzog („…eine ganz unauffällige, kleinbürgerlich-brave Familie, aber eben Nicht-Arier, Juden!“), um sie mit Nazi-Liedern einzuschüchtern wie: […] und wenn das Judenblut/vom Messer spritzt, dann geht’s noch mal so gut… In einem Vortrag im Kempener Thomaeum hat Greven rückblickend erklärt: „Ich möchte als damaliger Pimpf, als Jungvolkjunge, der mit zehn, elf, zwölf und 13 Jahren durch die Straßen der Stadt Kempen ziehen musste – übrigens ohne Verstand, wir waren damals in dem Alter richtig dumme Jungs – hier sagen: Ich schäme mich für meine damalige Dummheit, mitzuziehen und Lieder mit den übelsten Texten zu grölen.“[2] – Von den zahlreichen Kempenern, die damals an antisemitischen Hetzaktionen und Ausschreitungen teilgenommen haben, ist Greven übrigens der einzige, der nachträglich sein Bedauern darüber ausgedrückt hat.
Mehr und mehr werden die Juden nun zu Aussätzigen. 17. August 1938: Alle jüdischen Frauen und Männer müssen auf ihren Papieren ihren Vornamen die diskriminierenden Zwangsnamen Sarah bzw. Israel hinzufügen. In Ausführung dieser Anweisung trägt – ein Beispiel von vielen – am 31. Januar 1939 der Kempener Standesbeamte Karl Kriegelmann in die Geburtsurkunde des am 27. September 1922 geborenen Kurt Mendel ein, dass Kurt und sein Vater Andreas nun zusätzlich den Vornamen Israel angenommen hätten, Kurts Mutter Paula geb. Weinberg den Vornamen Sarah. Andreas Mendel muss die schimpflichen Zusätze als gesetzlicher Vertreter seines Sohnes unterschreiben. So ergeht es jetzt allen Juden, die noch in Kempen wohnen.[3]
Im Zuge der Pogromnacht wird am Vormittag des 10. November 1938 die Kempener Synagoge an der Umstraße niedergebrannt, die jüdischen Wohnungen und Geschäfte werden demoliert. In der Wohnung der Familie Mendel an der Von-Loë-Straße zerstören Kempener SA–Männer fast vollständig die Einrichtung von Wohn- und Speisezimmer. Beispielsweise wird ein Stuhl in den großen Spiegel im Esszimmer geworfen.[4]
Noch am Vormittag dieses 10. Novembers verhaftet die Kempener Polizei alle männlichen Juden und bringt sie ins Gefängnis an der Umstraße. Hier pfercht man die etwa 20 Männer in die beiden Arrestzellen, die zur Hofseite hin liegen.[5] Gleich nebenan brennt ihre Synagoge; durch die vergitterten Fenster sehen die Eingesperrten die Flammen, hören das Knacken der verbrennenden Holzteile und das Krachen der einstürzenden Balken. Noch am Nachmittag werden sie mit einem Lkw in das Anrather Gefängnis gebracht. Dort werden die Juden, die 55 Jahre und älter sind, im Laufe der nächsten Tage entlassen.
Nicht Andreas Mendel. Er ist einer von fünf Kempener Juden, die am Mittwochmorgen, 16. November, in aller Frühe aus dem Anrather Gefängnis auf Lastkraftwagen zum Duisburger Hauptbahnhof und von dort mit einem Sonderzug zum KZ Dachau gebracht werden. Als Bewacher kommen Gestapo-Beamte mit, vorsorglich für zwölf Stunden mit Verpflegung versehen. Was die jüdischen Insassen angeht, lautet die Gestapo-Anweisung jedoch: Für die Häftlinge ist keine Marschverpflegung mitzunehmen. Am 22. Dezember 1938 wird Andreas Mendel auf Antrag seiner Familie nach Kempen entlassen.[6]
In ihrem Zynismus ordnet die Reichsregierung an, die deutschen Juden sollten für die Zerstörungen, die die NS-Vandalen in ihren Wohnungen und Geschäften angerichtet haben, auch noch büßen. Schließlich hätten sie die Übergriffe herausgefordert. Sie erlegt ihnen eine Sühneleistung in Form einer Vermögensabgabe von einer Milliarde Reichsmark auf. Im Falle von Andreas Mendel dürfte diese Abgabe einige tausend RM betragen haben. Mendel hat zu diesem Zeitpunkt schon länger kein Einkommen mehr, denn bis zum Herbst 1937 haben die jüdischen Viehhändler im Landkreis Kempen-Krefeld ihr Gewerbe aufgeben müssen. Durch die neue Judenvermögensabgabe wird er finanziell endgültig ruiniert und muss die schöne Fünf-Zimmer-Wohnung im Erd- und Obergeschoss des Hauses von-Loë-Straße 14 aufgeben. Mit Frau und Kindern zieht er um an die Tiefstraße 15. Dort hat sein 1933 verstorbener Onkel Moritz Lambertz ein Schlachthaus besessen. 1889 wurde es erbaut.[7] Das steht jetzt leer, und Andreas Mendel kommt mit den Seinen in diesem engen Anbau auf dem Hinterhof unter.[8]
Lieselotte Mendel hat bis zur Pogromnacht das Lyzeum in Kempen besucht. Als sie es nun wie die anderen jüdischen Mädchen verlassen muss, beginnt sie eine Lehre als Schneiderin.[9] Beeindruckt durch die Pogrome öffnen England und die Niederlande ihre Grenzen für jüdische Kinder. Unbegleitete Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sollen ohne Visum einreisen dürfen, um von Pflegefamilien aufgenommen zu werden. 1939 gelingt es den Eheleuten Andreas und Paula Mendel, ihre 15jährige Tochter Liesel mit einem Kindersammeltransport auf den Weg nach Holland zu bringen, wo sie bei Verwandten im Haushalt hilft. Aber 1941 werden die in Kempen verbliebenen Mendels mit Liesels älterem Bruder Kurt nach Riga deportiert. Die Niederlande sind 1940 von der deutschen Wehrmacht besetzt worden. Vom 2. Mai 1942 an muss das Mädchen den Judenstern tragen. Als Liesel sich bei den Behörden nach dem Verbleib ihrer Familie erkundigt, wird sie selbst verhaftet und zunächst in das holländische KZ Westerbork gebracht. Von dort soll sie am 15. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert worden und dort am 30. September 1942 umgekommen sein.[10] Beides ist fraglich. Letztendlich bleibt Liesel Mendels Schicksal ungeklärt.[11]
Im Laufe der Monate November/Dezember 1941 werden von den 26 Juden, die es damals in Kempen nachweislich noch gegeben hat, mindestens zwölf von der Polizei aus ihren bisherigen Wohnungen ausquartiert und in so genannten Judenhäusern mit der offiziellen Bezeichnung Jüdische Gemeinschaftshäuser zusammengezogen. Das soll nicht nur Wohnraum für die deutsche Bevölkerung schaffen, es soll auch die Verelendung der Juden, die man nun in schlechten Quartieren zusammenpfercht, beschleunigen. Die Judenhäuser sind eine Vorform des Gettos. Die juristische Grundlage dafür liefert das Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden vom 30. April 1939. Seine Begründung ist blanke Ideologie: Es widerspricht nationalsozialistischem Rechtsempfinden, wenn deutsche Volksgenossen in einem Hause mit Juden zusammenleben müssen. In Deutschland beginnt diese Hinauswerfaktion 1939, in Berlin und München bereits im Februar des Jahres.
Aus ihrer letzten Wohnung Tiefstraße 15 bringt die Polizei Andreas Mendel, seine Ehefrau Paula und ihren Sohn Kurt in das Haus von Siegmund Winter und dessen Tochter Carola, Josefstraße 5 (an der Stelle des heutigen Hauses Heilig-Geist-Straße 21).[12] Hierhin müssen nun auch Sally Servos, seine Ehefrau Nanni und ihre Tochter Bertha von der Vorster Straße 16 ziehen. Von der Peterstraße 23 werden der Metzgermeister Isidor Hirsch, seine Frau Johanna und seine Schwester Hannchen hierhin gebracht. Was für eine Enge muss in den neuen Quartieren geherrscht haben! In dem schmalen Haus an der Josefstraße leben nun elf Menschen.
Die erste Deportation Kempener Juden geht am 11. Dezember 1941 von Düsseldorf aus nach Riga, der Hauptstadt Lettlands. Der Transport nimmt den größten Teil der Juden aus dem Kreisgebiet mit. Betroffen sind jüngere und mittlere Jahrgänge, nicht über 65 Jahre alt,[13] Menschen, deren Arbeitskraft im Osten eingesetzt werden kann. Aus der heutigen Stadt Kempen sind mindestens zwölf Juden dabei, darunter auch Andreas Mendel (49), mit seiner Frau Paula (47) und seinem 20jährigen Sohn Kurt.
Kurz vor der Deportation hat sich das Ehepaar Paula und Andreas Mendel noch von Gertrud Hermans, der Frau eines Nachbarn, des Kempener Bäckermeisters Heinrich Hermans, verabschiedet: Wir sehen uns nie wieder.[14]
Die Juden aus Kempen und St. Hubert finden sich am Nachmittag des 9. Dezember 1941 an einem Sammelpunkt ein, den man ihnen vorher mitgeteilt hat: vor dem 1974 abgerissenen Hohenzollernbad an der Burgstraße. Hier dürfen sie die Nacht auf den Fliesen des geheizten Foyers verbringen – ein Entgegenkommen der Kempener Polizei, die sie aber alle paar Stunden durch schikanöse Zählappelle aus dem Schlaf reißt. Als sie die Wohnungen verlassen haben, werden die Wohnungstüren der Deportierten von den Behörden amtlich versiegelt, um Fremde vom Plündern oder Besetzen der Wohnungen abzuhalten. Später wird der zurückgelassene Hausrat durch Finanzbeamte in Listen erfasst, damit er öffentlich verkauft oder versteigert werden kann.
Am nächsten Morgen geht es mit dem „Schluff“ – heute ein beliebter Ausflugszug zwischen dem Krefelder Nordbahnhof und Hüls – nach Krefeld und von dort weiter zum Düsseldorfer Schlachthof Derendorf, wo am 11. Dezember die Abfahrt nach Riga erfolgt.
Auf diesem Transport gehen zwei junge Menschen eine lebenslange Beziehung ein: Kurt Mendel, und Emmi Dahl (20), Tochter des Metzgers Louis Dahl und seiner Ehefrau Sofie geb. Katz aus Dormagen. „Wir kannten uns bisher nur flüchtig aus einem jüdischen Café in Köln, wo Kurt sich auf der jüdischen Handwerkerschule auf ein Leben als Schreiner im Ausland vorbereitete“, hat sich Emmi erinnert. „Dann sahen wir uns in diesem Zug nach Riga wieder. Wir saßen auf dem Boden des überfüllten Personenwaggons und sagten, wie man das so sagt, wenn man jung ist: Wenn wir hier `rauskommen, bleiben wir zusammen.“[15] Was sie nicht wissen können: Sie gehören zu den 98 Menschen, die diese Deportation überleben werden, und sie bleiben zusammen. Als Emmi Dahl am 13. März 1945 in Westpreußen, wohin man sie auf einem Todesmarsch getrieben hat, von den Russen befreit wird, wiegt sie noch 34 Kilo, hat Typhus, eine Rippenfellentzündung und Fleckfieber. Der linke Zeh ist ihr abgefroren. Wie durch ein Wunder bleibt sie am Leben. Dann kehren sie an den Niederrhein zurück.[16] Am 17. März 1947 heiraten die beiden in der Kölner Synagoge. Es ist die erste jüdische Hochzeit in Deutschland nach dem Krieg. Emmi zieht die 40 Kilometer rheinabwärts nach Kempen, wo das junge Ehepaar sich eine Wohnung an der Kleinbahnstraße 4 gemietet hat. Hier wird am 13. November 1948 ihre Tochter Lieselotte geboren.[17] 1956 verlegen sie ihren Wohnort nach St. Hubert, Hahnendyk 1 b (später umnummeriert in 2 bzw. 4). Dort hat Emmi Mendel, seit 2007 verwitwet, bis zu ihrem Tod am 21. Dezember 2011 gelebt. 2006 war der mittlerweile geschlossene Kempener Judenfriedhof noch einmal für die künftige Beisetzung des Ehepaares Mendel geöffnet worden. Am 6. September 2007 wurde hier Kurt Mendel beigesetzt, am 28.Dezember 2011 seine Frau Emmi.
Doch das ist 1941 noch Zukunft. Als der Transport vom Niederrhein im Rigaer Getto ankommt, sind die Straßen noch mit großen Blutlachen bedeckt. Das gefrorene Blut ist sechs Tage alt. Es stammt von Menschen, die bei der zweiten Liquidierung des Gettos mit dem Tempo der Marschkolonne nicht mithalten konnten. An die 900 Alte, Gebrechliche und Kinder sind von den Polizisten erschossen worden, oder man hat ihnen mit dem Gewehrkolben die Schädel eingeschlagen.[18] Als Emmi Dahls Vater Louis die Zeichen des Massenmordes sieht, sagt er leise: Hier kommen wir nie wieder `raus. Er wird recht behalten. Als sich im Spätsommer die Rote Armee nähert, werden er und seine Frau Sofia geborene Katz im KZ Kaiserwald bei Riga erschossen.
Am Morgen des 22. Dezember werden etwa 500 Männer aus dem Getto, darunter auch Andreas Mendel, zu einer einsamen Waldlichtung getrieben, wo einige halb fertige Baracken in den Winterhimmel ragen. Hier, nahe der kleinen Ortschaft Salaspils etwa 20 Kilometer südöstlich von Riga, wird durch jüngere Juden ein neues Konzentrationslager gebaut. Unter SS-Bewachung marschierten wir zu einem 17 Kilometer von Riga entfernten Lager. Wir wurden in einer Baracke, die noch kein Dach hatte, untergebracht. Es war ein Glück, dass es wenigstens Decken gab, sonst wären wir alle erfroren. Drei Tage waren wir noch ganz ohne Verpflegung außer drei Zuckerwürfeln, die man uns zu Weihnachten gab. Später bekommt jeder täglich 180 Gramm Brot und eine „Suppe“, d. h. einen Teller voll Wasser, in dem ein paar Kohlblätter und einige Kartoffelschalen schwimmen. Die Arbeit ist mörderisch. Das Holz für Baracken und Zäune muss auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses Düna geschlagen werden, die Baumstämme werden bei Eiseskälte über den zugefrorenen Fluss geschleppt. Als Folge der Entbehrungen erkranken viele, darunter auch Andreas Mendel. Zwar gehen Krankentransporte ab, zur Erholung im Getto, wie es offiziell heißt. Aber die Kranken werden unterwegs im Wald erschossen. Mit einem dieser Transporte soll am 6. (16.?) Januar 1942 auch Andreas Mendel weggebracht werden. Aber er ist schon so entkräftet, dass er auf dem Weg von der Baracke zum Omnibus taumelt und stürzt. Einer der lettischen Polizisten, die das Lager bewachen, schießt ihn an Ort und Stelle nieder.[19]
Nicht jeder der Älteren hat einen Beistand wie Andreas nun verwitwete Frau Paula. Ihr Sohn Kurt Mendel kümmert sich aufopfernd um die Mutter.[20]
Vier Tage später, am 6. November 1943, wird das Getto Riga aufgelöst, die Überlebenden werden auf verschiedene Konzentrationslager verteilt. Von den 13.000 deutschen und österreichischen Juden, die man im Dezember 1941 und in den ersten Monaten des Jahres 1942 dort hingebracht hatte, sind bei der Auflösung noch etwa 170 am Leben. Aus Kempen sind Kurt und Paula Mendel die einzigen.[21] Nun werden sie und Emmi Dahl in das Arbeitslager des Armeebekleidungsamtes (ABA) Mühlgraben bei Riga gebracht, wo die Frauen die verschmutzten Uniformgarnituren gefallener deutscher Soldaten zu sortieren haben. Kurt, der gewandt ist und überall durchkommt, wird zunächst als Schreiner damit beschäftigt, Hochbetten für die Häftlinge zu bauen. Am 27. September 1944 wird er in das Lager Stutthof bei Danzig verlegt, kommt dann nach Danzig selbst.[22] Emmi Dahl fährt mit anderen jungen Frauen regelmäßig in Bussen nach Riga, um die sortierte Soldatenwäsche dort in Wäschereien abzugeben. Schließlich werden sie und Paula Mendel im überfüllten Laderaum des Frachtschiffs „Bremerhaven“ nach Stutthof[23] transportiert, wo sie am 1. Oktober 1944 ankommen. Hier stirbt Anfang 1945 Paula Mendel am Hungertyphus.[24] Vor der vorrückenden Roten Armee werden Kurt Mendel und Emmi Dahl, die nun getrennt unterwegs sind, auf Evakuierungsmärsche durch menschenleeres Gebiet – die Deutschen sind bereits geflohen – in andere deutsche KZ gezwungen. Für viele werden sie zum Todesmarsch. Durch tiefen Schnee und bei starkem Frost quälen sich die Häftlinge in Marschblöcken bis zu 1000 Mann durch die von deutschen Truppen verstopften Straßen. Wer zurückbleibt, wird erschossen. Aber Emmi Dahl und Kurt Mendel überleben. Emmi wird von den Russen befreit. Kurt holen im März 1945 die Amerikaner aus dem KZ Theresienstadt. Er ist einigermaßen wohlauf, kommt erstmal in einem Lager bei Lauenburg unter. Aber die Entbehrungen haben zu einer Verkrümmung der Wirbelsäule geführt, sein Leben lang wird er Schmerzen haben.[25] Emmi päppelt man Monate lang in polnischen Krankenhäusern auf, bis sie wieder auf eigenen Füßen stehen kann. Auch ihr haben KZ und Todesmarsch lebenslange Beschwerden eingebracht. Ende Oktober kehrt sie nach Deutschland zurück.[26]
Quellenangaben:
[1] Adressbuch für den Kreis Kempen-Krefeld 1930-1931, o.J. Betzdorf-Sieg, S. 40. Diese Adresse verzeichnet S. 204 auch noch das 1937 erschienene Einwohner-Adreßbuch für den Landkreis Kempen-Krefeld, 2. Auflage: Ausgabe 1937, Verlag Heinrich Jakobs, Kempen 1937.
[2] Städtisches Gymnasium Thomaeum, Schuljahr 2006/7 Rundbrief Nr. 3: 15.6.2007, S. 16.
[3] Fotokopie aus dem Geburtenverzeichnis des Kempener Standesamtes, im Besitz von Peter Holtermann.
[4] Kreisarchiv Viersen, KK 12138.
[5] 1905/06 war an der Umstraße ein Polizeigerätehaus gebaut worden, das auch ein Polizeigefängnis und eine Polizistenwohnung enthielt. Hier kam 1932 die Polizeiwache unter, die bis dahin am Kirchplatz 10 gelegen hatte. Am 4.9.1938 wurde die Wache in das neue Gebäude der Amtsverwaltung, Haus Herfeldt an der Engerstraße, verlegt, doch das Gefängnis verblieb an der Umstraße.
[6] Schriftliche Mitteilung von Albert Knoll, Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, vom 8.7.2009.
[7] Stadtarchiv Kempen A 970.
[8] Aussage von Hedwig Kraus (1956; in: Kreisarchiv Viersen KK 12138) und Mitteilung von Heinrich Schlickers, Marienburgstraße 5, vom 16.4.2009. Das Gebäude gehörte noch 1939 der Witwe des am 15.3.1933 verstorbenen (Kreisarchiv Viersen Sterbebuch Kempen 49/1933) Metzgermeisters Moritz Lambertz, Johanna geb. Kaufmann (Katasteramt Kreis Viersen Mutterrolle Stadt Kempen 652).
[9] (KK 12139.
[10] Kreisarchiv Viersen KK 12138; Mitteilung von Emmi Mendel, Hahnendyk 4, vom 7.2.2009; im Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz 1986, Bd. 2, S. 1012, ist falsch von einem Transport nach Auschwitz im Jahr 1943 die Rede.
[11] Am 28.7.2014 teilte mir Liesel Mendels Kusine Ruth Baum mit, dass sie deren Namen in den Auschwitzer Sterbebüchern nicht gefunden habe.
[12] Mitteilung von Karl-Heinz Hermans vom 2.9.2007; Kreisarchiv Viersen KK 12138.
[13] Kreisarchiv Viersen Gemeindearchiv Amern 108.
[14] Mitteilung von Karl-Heinz Hermans vom 2.9.2007 nach den Erzählungen seiner Eltern.
[15] Mitteilung von Emmi Mendel geb. Dahl, St. Hubert, Hahnendyk 4, vom 9.11.2008.
[16] S. die ärztlichen Gutachten zu den Folgen der KZ-Haft (KAV KK 13316). Das Folgende nach Mitteilungen von Ruth Baum vom 23.3.2013.
[17] Lutz Debus, Ein Mahnmal noch zu Lebzeiten, in: Die Tageszeitung 9.11.2005, S. 4.
[18] Angrick-Klein, Die „Endlösung“ in Riga, S. 323.
[19] Das Gedenkbuch des Bundesarchiv Koblenz, Bd. 2, S. 1011, nennt offensichtlich falsch Stutthof als Todesort im Gegensatz zum Buch der Erinnerung, Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden, hg. vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., dem Riga-Komitee der deutschen Städte gemeinsam mit der Stiftung Neue Synagoge Berlin, dem Centrum Judaicum und der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, bearb. v. Scheffler, Wolfgang und Schulle, Diana, dtsch.-engl., München 2003, Bd. II, S. 711 mit Todesdatum 16.1. und korrektem Todesort. Die Kempener Kreisverwaltung nannte 1953/54 als Todesdatum den 6.1.1942; in einem der beiden Fälle muss es sich um einen Übertragungsfehler handeln (Kreisarchiv Viersen KK 7911, 14021).
[20] Artur Winter, Über das Schicksal der Kempener Juden, S. 6 f., 12.
[21] Ebenda, S. 3.
[22] Kreisarchiv Viersen KK 8009, 13315.
[23] Das Buch der Erinnerung, S. 711, nennt als Transportbeginn den 25.9.1944 und als Ankunft in Stutthof den 1.10.
[24] Als amtliches Todesdatum nannte 1953 die Kempener Kreisverwaltung den 31.1.1945 (Kreisarchiv Viersen KK 7911).
[25] Kreisarchiv Viersen KK 13315.
[26] Mitteilung von Emmi Mendel vom 9.11.2008.