Bildquelle: Josef Lamozik

 

Wir erinnern an Erna Servos
Geboren: 2.1.1910 in Kempen
Gestorben: 1951 in den USA
Opfergruppe: Jude
Verlegeort: Hülserstr.15
Verlegedatum:17.6.2021
Patenschaft: Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer

 

Wir gedenken der jüdischen Familie Leopold und Betty Servos und ihrer Töchter Alice und Erna, Hülser Straße 15 

Wir gedenken der Familie des Viehhändlers Leopold Servos, wohnhaft im Haus Hülser Straße 8, das seit 1937 die Nr. 15 trägt.

Als 1933 in Deutschland die Verfolgung der Juden durch die Nazis einsetzt, hat die Familie Servos die Möglichkeit, in die USA zu entkommen. Denn dort leben bereits zwei enge Verwandte. Im August 1923 ist Leopold Servos` einziger Sohn Siegfried, erst 16 (!) Jahre alt, in die USA ausgereist. Er ist ausgebildeter Einzelhandelskaufmann, aber in Deutschland herrscht Inflation, und Siegfried findet hier keine Anstellung. In Grand Rapids, der zweitgrößten Stadt im US-Bundesstaat Michigan, wird er bald ein tüchtiger Verkaufsmanager für Möbel sein.

Die älteste von Siegfrieds drei Schwestern, die im Mai 1900 geborene Beate, ist beeindruckt von dem beruflichen Erfolg ihres Bruders. Als 1929 die Weltwirtschaftskrise ausbricht, kommt sie nach und lässt sich in Florida nieder.

Am 30. Januar 1933 kommen die Nazis an die Macht. Schon am 1. April 1933 führen sie in ganz Deutschland einen so genannten Judenboykott durch. Dabei werden auch in Kempen die Fenster jüdischer Wohnung und Geschäfte mit Hetzparolen beschmiert. Ein Jahr später, im April 1934, nachdem sie sich die erforderlichen Ausreisepapiere beschafft haben, emigrieren Beates jüngere Schwestern Erna und Alice über Rotterdam in die USA.

Als im Jahre 1935 die Nürnberger Rassegesetze erlassen worden sind, darf Leopold Servos seinen Beruf als Viehhändler nicht mehr ausüben. Weil er nicht mehr arbeiten kann, fehlt ihm für eine Auswanderung das Geld. Also verkauft er sein Haus mit Garten an seinen Nachbarn, den Metzger Wilhelm Thören. Die Gebäude sind in schlechtem Zustand und von Hypotheken belastet, denn Leopold Servos hat keine Rücklagen mehr. Ein Gläubiger drängt auf Rückzahlung seiner Hypothek, was wohl den endgültigen Anstoß zum Verkauf gab.

Wilhelm Thören, der Leopold Servos sein Haus abkauft, ist kein Nazi. Im Februar 1934 ist er wegen kritischer Äußerungen zum Rücktritt als Obermeister der Kempener Metzgerinnung gezwungen worden. Offensichtlich will er dem jüdischen Nachbarn mit dem Ankauf seines Hauses einen Gefallen tun. Dafür zahlt er ihm 10.7000 Mark – eine Summe, die man heute mit 15 Euro multiplizieren kann. Eine Kommission, die dem Kempener Landrat unterstellt ist, überprüft damals, ob die jüdischen Eigentümer beim Verkauf ihrer Häuser auch nicht zu viel Geld bekommen. Die Gutachter sind der Meinung, der Preis sei zu hoch, zudem sei der Käufer politisch unzuverlässig. Erst am 28. September 1940 – zwei Jahre, nachdem der Kaufvertrag unterschrieben worden ist – darf Wilhelm Thören den Besitz antreten. Denn seit einem Jahr herrscht Krieg, und der Landrat hat jetzt Wichtigeres zu tun, als die Gültigkeit von länger zurückliegenden Kaufverträgen zu überprüfen.

Das Geld hat Wilhelm Thören seinem jüdischen Nachbarn bereits im September 1938 ausgezahlt. Im Oktober 1938 macht sich Leopold Servos, 66 Jahre alt, mit seiner Frau Betty, 64, auf den Weg in die Vereinigten Staaten. Von den 10.700 Reichsmark, die Wilhelm Thören ihm gezahlt hat, sind ihm nach Abzug der Reisekosten, der Reichsfluchtsteuer und anderer Zwangsabgaben, die man ihm als Juden auferlegt hat, noch 644,03 Reichsmark verblieben.

Infolge der Jahre langen entwürdigenden Behandlung durch die Nazis sind Leopold und Betty Servos völlig verängstigt. Als sie die Auswanderung antreten wollen, kauft ihnen ihre Nachbarin Gerda Geiger, die in der Kempener Burg als Telefonistin bei der Kreisverwaltung arbeitet, die Fahrkarten in die Niederlande: Denn zu diesem Zeitpunkt trauen sich die Eheleute Servos nicht mehr an den Bahnschalter. Aber in den USA fassen sie Fuß. Leopold und Betty Servos ziehen zu ihrem gut verdienenden Sohn Siegfried und seiner deutschen Frau Sofie in Moline/Illinois. Hier stirbt Betty Servos im Jahr 1947.  Zehn Jahre später stirbt Leopold Servos, am 1. September 1957. Er wird auf den Silver Lake and Mount Richmond Cemeteries beigesetzt, einem freien Begräbnisplatz für Juden aus aller Welt auf Staten Island, New York.