Wir erinnern an Emma Ajakobi.

Geboren:         2.5.1870 in Geilenkirchen
Gestorben:       1942 in Treblinka
Opfergruppe:   Jude
Verlegeort:       Heilig-Geist- Str./Arnold-Janssen-Str.
Verlegedatum: 27.5.2019
Patenschaft:     Gudrun und Reinhard Kollers

Emma Ajakobi wurde am 2. Mai 1870 in Geilenkirchen als Tochter des Handelsmanns Benedikt Ajakobi und seiner Ehefrau Rosina geborene Heumann geboren. Zu einem uns unbekannten Zeitpunkt zog sie nach Kempen. Ihr Haus war, von der Ellenstraße aus gesehen, das letzte Gebäude vor der Abbiegung der Josefstraße in Richtung Oelstraße. Es wurde im Krieg beim Luftangriff vom 10. Februar 1945 zerstört und nicht wieder aufgebaut. Wo es einst lag, befindet sich heute die Fahrbahn der Heilig-Geist-Straße.

In der Pogromnacht am Vormittag des 10. November 1938 werden in Kempen die Wohnungen der Juden demoliert. Nur Emma Ajakobis abseits gelegenes Haus wird schlicht übersehen und bleibt unversehrt.[1] Noch am selben Tag ziehen aus Geilenkirchen ihre drei Schwestern Johanna (⁎8.6.1872), Karoline (⁎9.9.1873) und Magdalena Ajakobi (⁎13.3.1862) zu ihr, suchen bei ihrer Schwester Unterschlupf.[2]

Im Herbst 1940 werden die in Kempen noch verbliebenen Juden in bestimmten Häusern zusammengezogen. Die Bevölkerung nennt diese überfüllten Wohnquartiere „Judenhäuser“. Zu den vier Geschwistern Ajakobi muss nun der 80-jährige Junggeselle Andreas genannt Adolph Lambertz, bisher wohnhaft in seinem Haus Schulstraße 9, ziehen.[3]

Wohl hervorgerufen durch den Druck der bedrängten Lebensverhältnisse, der Armut und der antisemitischen Anfeindungen leidet Emma Ajakobi unter einer hochgradigen Neurasthenie, einer Erschöpfung des Nervensystems. 1940 verfügt sie nur über eine Invalidenrente von monatlich 21,80 RM.[4]

 

Am 24. Juli 1942 werden 16 ältere Juden aus Kempen auf den Weg in das tschechische Theresienstadt gebracht. Von ihnen ist keiner zurückgekehrt.

Hier der Hintergrund: Am 13. März 1942 sind im Landkreis Kempen-Krefeld noch 108 Juden wohnhaft. Am 22. Mai ersucht die Gestapo-Leitstelle Düsseldorf alle Landräte des Regierungsbezirks, darunter auch den Kempener Landrat Jakob Odenthal, „für die bevorstehende Evakuierung von Juden nach dem Osten bzw. in das Altersgetto Theresienstadt“ um genaue Angaben über die noch in ihren Landkreisen lebenden Juden.

Am frühen Morgen des 24. Juli 1942 werden die Juden aus ihren Häusern abgeholt und von der Kempener Polizei mit einem Lastwagen zum Bahnhof der Industriebahn (deren Nachfolger heute der Ausflugszug „Schluff“ ist) gebracht. Von Krefeld aus geht die Fahrt weiter nach Düsseldorf, von wo einen Tag später der Deportationszug DA 71 91 Juden aus dem Kempener Landkreis nach Theresienstadt bringt. Die meisten sind über 70 Jahre alt. Die Nacht vor der Abfahrt haben sie auf dem Fußboden des Schlachthofs in Düsseldorf-Derendorf verbracht. Von den 1013, die mit diesem Zug deportiert werden, überleben 61. Massenmord nach Fahrplan, und die Opfer müssen die Fahrt selbst bezahlen: vier Pfennig je Bahnkilometer.

 

Theresienstadt ist im 18. Jahrhundert als Festungsstädtchen für 3500 Soldaten und Zivilisten erbaut worden. Jetzt sind dort ständig 40.000 bis 50.000 Menschen auf weniger als einem Quadratkilometer tschechischer Erde zusammengepfercht: Im Schnitt verfügt jeder Getto-Insasse im August 1942 über einen „Wohnraum“ von 1,6 Quadratmetern. Die Essens-Rationen sind erbärmlich: „Wer es nicht mit angesehen hat, wie die alten Menschen sich am Schluss der Essensausgabe auf die leeren Fässer stürzten, mit den Löffeln sie auskratzten, selbst die Tische, auf denen ausgeteilt wird, nach Resten mit Messern untersuchten, der vermag sich kein Bild davon zu machen, wie schnell Menschenwürde verloren geht“, hat eine Überlebende berichtet.

Am 6. September 1942 erliegt die 80-jährige Magdalene Ajakobi den Strapazen; ihre Schwester Karoline stirbt am 7. Oktober 1942.[5]

Der Ort ist ein Durchgangslager in die Vernichtungs-KZ im Osten. Im Frühherbst 1942 setzen die großen Transporte in die Todeslager ein. Am 28. September werden die Schwestern Emma und Johanna Ajakobi nach Treblinka gebracht. Hier sind sie umgekommen.

 

Im alten Mädchengymnasium an der Thomasstraße wurde die Habe der deportierten Juden versteigert. 1967 wurde das Gebäude abgebrochen. Im Juni 1979 lässt der in Augsburg lebende Landschaftsmaler Reinhart Heinsdorff die Schulfassade wiedererstehen – in dem hier abgebildeten; verblüffend realistischen Farbgemälde.

Foto: Hans Kaiser

Die zurückgelassene Habe wird auf Anweisung des Kempener Finanzamts öffentlich versteigert. Das geschieht zu verschiedenen Terminen und an verschiedenen Orten. In Kempen läuft die perverse Schnäppchenjagd in der Mädchenoberschule an der Thomasstraße ab – wohl noch im Sommer 1942. Dort in der Turnhalle im Hochparterre hat man das zurückgelassene Mobiliar zur Begutachtung aufgestellt. Aber die besten Stücke sind schon weg, als der Hammer fällt. Offensichtlich haben sich hier Angehörige von Verwaltung und Polizei bedient. Das Finanzamt selbst, darunter sein Leiter Peter Hahmann, bereichert seine Büroräume mit zurückgelassenen Möbeln deportierter Juden – nachzulesen in Akten des Landesarchivs. Auf Bollerwagen fahren die Kempener die ersteigerten Sachen nach Hause. Gewissensbisse werden damit weggewischt, dass die Versteigerung ja auf Anordnung der Behörden erfolgte. Mit ihrem erzwungenen Auslands-Aufenthalt haben die Juden laut Reichsbürgergesetz nämlich die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, und damit verfällt ihr Vermögen dem Reich.

 

[1] Mitteilung von Karl-Heinz Hermans vom 27.1.2009.

[2] Emma Ajakobi am 5.12.1938 an das Kempener Finanzamt: Meine Geschwister […] sind seit dem 10. November hier und bleiben auch bei mir (Kreisarchiv Viersen KK 5273). Damit übereinstimmend Mitteilung von Karl-Heinz Hermans vom 1.2.2009. Am 8.12.1939 waren Magdalene, Johanna und Karoline aber noch einmal in Geilenkirchen (s. die Randvermerke auf ihren Geburtsurkunden im Stadtarchiv Geilenkirchen, 27/1862, 53/1872, 83/1873).

[3] Zu Lambertz’ Haus Schulstraße 9 s. StAK A 3224. Lambertz verstarb im Judenhaus Josefstraße 7 am 7.3.1942 (KAV Sterbebuch Kempen 41/1942).

[4] Kreisarchiv Viersen KK 5273.

[5] Theresienstädter Gedenkbuch, S. 427, 429; entsprechend Gedenkbuch Bundesarchiv  Koblenz, S. 18 (Ajakobi).